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Wirksamkeit von Beschlussfassungen und Einführung digitaler Betriebsratsarbeit

Bisher ist noch nicht vollständig und höchstrichterlich geklärt, welche Auswirkung eine fehlerhafte Beschlussfassung des Betriebsrats auf die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung hat. Diesem Problem kommt nun in Anbetracht der Corona-Krise eine besondere Brisanz zu teil, da Betriebsräte immerhin gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gefordert sind, ihre Zustimmung zum Einführen von Kurzarbeit zu geben. Auch bei der Einführung von Homeoffice hat der Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG ein Beteiligungsrecht und bei Kündigungen gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG. Ob ein Rückgriff auf Videokonferenzen – wie im Rahmen von informellen Meetings zwischen Arbeitskollegen – Rechtskraft entfaltet, ist nicht unstrittig.

Dieser Beitrag erläutert die Formalien zur Beschlussfassung und Betriebsvereinbarung, der möglichen Auswirkung einer fehlerhaften Beschlussfassung sowie der geplanten Gesetzesänderung im Zuge der Corona-Krise.

Die Betriebsvereinbarung

Die wesentlichen Bestimmungen zur Betriebsvereinbarung (BetrVG) finden sich in § 77 BetrVG. Es handelt sich um einen Vertrag zwischen Arbeitgeber und dem Betriebsrat (sog. Arbeitnehmervertretung). Die Betriebsvereinbarung gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer des Betriebs, sofern der Geltungsbereich nicht explizit auf einzelne Arbeitnehmergruppen beschränkt ist.

Hauptanwendungsbereich sind die Angelegenheiten, in denen der Betriebsrat ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht hat. Das sind insbesondere soziale Angelegenheiten mit kollektivem Bezug (Urlaubsplanung, Internetnutzung, Arbeitskleidung, Pausenregelung usw.). Angelegenheiten, die bereits abschließend durch Gesetz oder Tarifvertrag geregelt sind, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.

Die Vereinbarung gilt unmittelbar und zwingend für die betroffenen Arbeitnehmer und hat somit normative Wirkung.

Für eine wirksame Betriebsvereinbarung ist ein wirksamer Beschluss erforderlich.

Die Beschlussfassung:

Die gesetzliche Verankerung für die Geschäftsführung und Beschlussfassung findet sich in den §§ 26 ff. BetrVG und hier besonders in den §§ 29 und 33 BetrVG.

Nur ein ordnungsgemäß zustande gekommener Beschluss durch einen beschlussfähigen Betriebsrat kann schlussendlich zu einer wirksamen Vereinbarung führen. Hierbei sind insbesondere die folgenden Voraussetzungen zu beachten.

Der Betriebsrat ist beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Abstimmung gemäß § 33 Abs. 2 BetrVG teilnimmt. Ist ein Mitglied des Betriebsrats an der Beschlussfassung verhindert, ist es gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG durch ein Ersatzmitglied zu vertreten. Wenn ein Mitglied in seinem Arbeitsverhältnis individuell und unmittelbar betroffen ist, darf es an der Beratung und Beschlussfassung dieses Tagesordnungspunktes nicht teilnehmen.

Wichtig ist, dass die Mitglieder rechtzeitig und unter Mitteilung der konkreten Tagesordnungspunkte zur Betriebsratssitzung gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG geladen wurden. Wenn ein Tagesordnungspunkt bei der Ladung nicht hinreichend bestimmbar genannt wurde, kann der Betriebsrat nur dann einen wirksamen Beschluss hierüber fassen, wenn alle Mitglieder rechtzeitig zur Sitzung geladen wurden und das beschlussfähige Gremium einstimmig sein Einverständnis erklärt, den Beratungspunkt in die Tagesordnung aufzunehmen und darüber zu beschließen. Außerdem darf der Beschluss inhaltlich nicht gegen ein Gesetz oder zwingende Schutzvorschriften verstoßen.

Die Beschlüsse im sachlichen Zuständigkeitsbereich des Betriebsrats werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit, also der Mehrheit der Stimmen der in der Betriebsratssitzung anwesenden Mitglieder gefasst. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt.

Die beschlossenen Betriebsvereinbarungen müssen schriftlich fixiert und vom Arbeitgeber und dem Betriebsratsvorsitzenden auf einer Urkunde unterzeichnet werden. Fraglich und zum Teil umstritten ist jedoch, welche Rechtsfolgen Fehler bei der Beschlussfassung haben.

Fehlerhafte Beschlussfassung und Rechtsfolge

Betriebsratsbeschlüsse können nichtig bzw. unwirksam sein, z.B. dann, wenn bei der Beschlussfassung Fehler passieren. Unwirksame Betriebsratsbeschlüsse haben dann keine rechtliche Wirkung. Ein Betriebsratsbeschluss ist nichtig und damit unwirksam, wenn er nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, einen gesetzwidrigen Inhalt hat oder der Betriebsrat gar nicht zuständig ist.

Die nachträgliche Heilung einer fehlerhaften Beschlussfassung ist unter Umständen möglich. Dann entfaltet die Heilung in der Regel aber keine Rückwirkung.

Denkbar ist auch eine nachträgliche Genehmigung, die aber ebenfalls nur durch einen ordnungsgemäßen und wirksamen Beschluss erteilt werden kann.

Die Rechtsprechung behandelt die Frage uneinheitlich, ob der Arbeitgeber Vertrauensschutz im Hinblick auf die Wirksamkeit der vom Betriebsrat geschlossenen Beschlussfassung genießt. Diese Frage wird aufgrund der normativen Wirkung der Betriebsvereinbarung aber überwiegend verneint.

Wirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen per Video- und Telefonkonferenz

Ob ein Beschluss wirksam ist, der über Video- oder Telefonkonferenz gefasst wurde, war bislang Gegenstand einer intensiven Debatte. Da es kein höchstrichterliches Urteil dazu gibt, ist die Debatte offen.

Eine Wirksamkeit wurde bislang größtenteils abgelehnt, da § 30 Satz 4 BetrVG erfordert, dass Sitzungen nichtöffentlich stattfinden. Bei Videokonferenzen kann nicht sichergestellt werden, dass unberechtigte Personen anwesend seien oder die Sitzungen aufgezeichnet würden. Außerdem erfordert § 33 Abs. 2 BetrVG eine Teilnahme an der Sitzung, das heißt eine körperliche Anwesenheit.

Dagegen spricht jedoch, dass der Grundsatz körperlicher Anwesenheit gewahrt ist, da dieser durch die gegenseitige Sicht- und Hörbarkeit gegeben ist. Die Anwesenheit einer unbefugten Person ist erst dann schädlich, wenn sie auf den Betriebsrat so beeinflusst, dass der Beschluss ohne die Anwesenheit anders ausgefallen wäre. Dann erst läge eine Unwirksamkeit vor.

Ein unwirksamer Beschluss – zum Beispiel über die Einführung von Kurzarbeit – hätte zur Folge, dass dieser von vorneherein unwirksam ist. Das wiederum würde bedeuten, dass der Arbeitgeber nachträglich das volle Gehalt nachzahlen müsste und Ansprüchen der Agentur für Arbeit ausgesetzt wäre. Dabei ist irrelevant, ob sich Arbeitgeber und Betriebsrat zuvor – wie momentan häufig praktiziert – geeinigt haben, solche Beschlüsse zu akzeptieren. Möchte ein Arbeitnehmer aufgrund der Einführung von Kurzarbeit zum Beispiel sein volles Gehalt einklagen, kann er sich auf die Unwirksamkeit des Beschlusses berufen.

Um diesbezüglich Rechtssicherheit zu schaffen, hat die Bundesregierung in einer Pressemitteilung vom 9. April 2020 Gesetzesänderungen angekündigt.

Änderungen

Demnach möchte der Gesetzgeber ausdrücklich Video- und Telefonkonferenzen des Betriebsrats erlauben. Dafür soll ein neuer § 129 BetrVG eingeführt werden:

§ 129 Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie (1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. (2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend. (3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. (4) Die Sonderregelungen nach den Absätzen 1 bis 3 treten mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

Auch sollen die Änderungen rückwirkend ab dem 1. März 2020 Geltung haben, um bereits beschlossene Vereinbarungen nicht zu gefährden. Die Schriftform zur Feststellung der Anwesenheit aus Absatz 1 muss dann entsprechend per E-Mail erfolgen. Auch soll die Wahlordnung dahingehend angepasst werden, dass das Präsenzgebot aus § 11 Abs. 1 Satz 2 WO 2001 durch eine Briefwahl kompensiert werden kann.

Anzumerken ist, dass diese durch die Corona-Krise bedingten Sonderregelungen vorerst zum 31. Dezember 2020 befristet sind.

Zusammenfassung:

  • Die wirksame Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat unmittelbare und zwingende Wirkung für alle Arbeitnehmer, die im Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung liegen. Die gesetzliche Verankerung findet sich in § 77 BetrVG.
  • Erforderlich ist ein wirksamer und schriftlicher Beschluss zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
  • Für die ordnungsgemäße Beschlussfassung gibt es eine Vielzahl von zwingenden Voraussetzungen (s.o.), die eingehalten werden müssen. Die wesentliche Rechtsgrundlage hierfür sind die §§ 26 ff. BetrVG.
  • Die nachträgliche Heilung einer fehlerhaften Beschlussfassung ist unter Umständen möglich. Die Heilung wirkt in der Regel aber nicht rückwirkend.
  • Durch einen ordnungsgemäßen Beschluss kommt auch eine nachträgliche Genehmigung in Betracht.
  • Ob der Arbeitgeber darauf vertrauen darf, dass eine vereinbarte Betriebsvereinbarung durch einen wirksamen Beschluss des Betriebsrats zustande gekommen ist, wird von den Arbeitsgerichten unterschiedlich beurteilt; sog. Vertrauensschutz aus Rechtsschein.
  • Für die Beurteilung der Rechtsfolgen kommt es somit im Ergebnis auf den Einfall und die Schwere des Verstoßes an.

Hilfe bei arbeitsrechtlichen Fragen:

Welche Fehler bei der Beschlussfassung erheblich sind, zur Unwirksamkeit führen oder ggf. nachträglich geheilt werden können, ist ebenso wie die Frage der Rechtsfolge einzelfallabhängig. Wir beraten Sie gerne im gesamten Kollektivarbeitsrecht und allen wirtschaftsrechtlichen Fragestellungen.

Dr. Patrizia Antoni ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Fachanwältin für Steuerrecht. Sie berät Sie in allen arbeitsrechtlichen und steuerrechtlichen Fragestellungen gerne.

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