Update zur Sozialversicherung von Honorar-Lehrkräften
Übergangsregelung zur Scheinselbstständigkeit bei Lehrtätigkeiten
Mit dem Herrenberg-Urteil ( BSG 08.06.2022 – B 12 R 3/20 ) ging das Bundessozialgericht abermals einen weiteren Schritt zur Beschränkung freier Mitarbeit . Nach der Rechtsprechung kommt freie Mitarbeit nicht in Betracht, wenn eine betrieblichen Eingliederung und damit eine abhängige und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung anzunehmen ist. Gerade bei Musikschulen, aber auch an vielen anderen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen, soll eine solche betriebliche Eingliederung im Regelfall vorliegen.
Infolge des Herrenberg-Urteils stehen Musikschulen bundesweit vor schwierigen finanziellen Herausforderungen. Dieses betrifft auch viele städtische Musikschulen und bedroht den Musikunterricht all derer, welche teure Privatstunden nicht finanzieren können oder wollen. Aus diesem Grund ist am 01.03.2025 mit § 127 SGB IV „Lex Herrenberg“ eine Übergangsregelung in Kraft getreten , welche Musikschulen und anderen Bildungseinrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen eine Amnestie für Sozialversicherungsbeiträge bis zum 31.12.2026 gewährt.
Was bedeutet freie Mitarbeit?
Echte Arbeitsverhältnisse sind geprägt vom Direktionsrecht des Arbeitgebers . Aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses ist dieser berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, wann und wo er tätig sein soll und gegebenenfalls auch, wie die Arbeit auszuführen ist.
Freie Mitarbeiterverhältnisse dagegen zeichnen sich dadurch aus, dass der freie Mitarbeiter eine Aufgabe annimmt, hinsichtlich der Leistungserbringung jedoch keinen Weisungen unterliegt . Er kann also frei entscheiden, zu welchem Zeitpunkt, an welchem Ort und auf welche Art und Weise er die Aufgaben erledigt. Im Rahmen der Auftragserbringung ist es jedoch schon im Interesse des Auftraggebers zwingend notwendig, gewisse Eckpunkte zu vereinbaren. Oft gibt es einen Fertigstellungstermin oder auch andere Vorgaben.
Sind freiberufliche Dozenten & Lehrer scheinselbstständig?
Gerade bei der Erledigung von Lehraufgaben an öffentlichen aber auch privaten Einrichtungen, sind diese Vorgaben meist vielfältig. Es gibt Stundenpläne für die Schüler (Teilnehmenden, Studenten etc.), Raumpläne, unterrichtsfreie Zeiten, gegebenenfalls Lehrpläne, das Erfordernis von Sprechstunden und vieles mehr. Dieses führt dazu, dass die beim Auftraggeber vorherrschenden Rahmenbedingungen die Gestaltungsfreiheit des freien Mitarbeiters stark beschränken - insbesondere im Hinblick auf Zeit, Ort und Tätigkeit. Er kann möglicherweise darauf hinwirken, nur an Dienstagen Unterricht zu erteilen, muss hierfür jedoch aufgrund der Anforderungen der Bildungseinrichtung vor Ort, z.B. in der Musikschule, anwesend sein und im 45 Minuten Takt Unterricht erteilen. Darüber hinaus muss er an Veranstaltungen der Bildungseinrichtung, z.B. Vorführungen vor den Eltern der Musikschüler, Tag der offenen Tür etc. teilnehmen und für Sprechstunden zur Verfügung stehen.
Sozialversicherungspflicht für Honorarlehrkräfte & -dozenten
Aufgrund dieser Vorgaben, ist der „freie Mitarbeiter“ nicht wirklich frei. Ähnlich wie ein teilzeitbeschäftigter Mitarbeiter, wird im Rahmen der Vereinbarung des Vertragsverhältnisses eine Vereinbarung unter Rücksichtnahme auf die beiderseitigen Interessen getroffen. Mehr Freiheit besteht jedoch nicht. Unternehmerisches Risiko besteht auch nicht, da die Musikschule die Kosten für den Raum trägt und die Schüler stellt.
Insoweit geht das Bundessozialgericht in diesen und ähnlich gelagerten Fällen von einer betrieblichen Eingliederung und damit auch vom Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses aus.
Aufgrund dieser Tatsache wird im Rahmen von entsprechenden Prüfungen der Sozialversicherungsträger bei den entsprechenden Bildungsträgern sowie im Rahmen von Statusfeststellungsverfahren für die betroffenen Lehrkräfte im Regelfall ein entsprechendes Anstellungsverhältnis festgestellt und die Sozialversicherungsbeiträge für alle unverjährten Jahre zuzüglich Zinsen verlangt . Dieses bedeutet eine für die meisten Bildungseinrichtungen nicht tragbare finanzielle Belastung und damit gegebenenfalls das Aus der Betroffenen Bildungsträger und ihrer Angebote für die Öffentlichkeit.
Neue Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten
Infolgedessen wurde quasi unmittelbar vor den Neuwahlen mit § 127 SGB IV im „ Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung weiterer Vorschriften “ überraschend bestimmt, dass bei Lehrkräften, die auf der Grundlage von Honorarverträgen als freie Mitarbeiter tätig sind, für eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2026 bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 SGB IV grundsätzlich, unabhängig etwaiger abweichender Ergebnisse entsprechender Statusverfahren, eine selbstständige Tätigkeit angenommen wird . In dem Fall können auch für die Vergangenheit keine Sozialversicherungsbeiträge von den Bildungseinrichtungen gefordert werden
Die Regelung verschafft den Bildungseinrichtungen grundsätzlich einen zeitlichen Puffer. Ihnen wird ermöglicht bis Ablauf des Jahres 2026 die interne Organisation umzustellen, die Lehrkräfte anzustellen und vieles mehr. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen gegebenenfalls zumindest teilweise auch weiterhin selbstständige Lehrkräfte unter Vertrag genommen werden können.
Wird es weiterhin selbstständige Lehrkräfte geben?
Im Zusammenhang mit der Übergangsregelung stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen gegebenenfalls zumindest teilweise auch weiterhin selbstständige Lehrkräfte unter Vertrag genommen werden können.
Dieses mag unter Beachtung der allgemeinen Regelungen für freie Mitarbeiterverhältnisse ggf. weiterhin möglich sein, wenn
- das gewählte Vergütungssystem nicht allein auf abrechenbare Stunden abstellt
- der freie Mitarbeiter ein eigenes unternehmerisches Risiko trägt, indem er für die von ihm genutzten Betriebsmittel eine Vergütung entrichtet
- von der Verpflichtung zur persönlichen Leistungsentrichtung entbunden wird und insoweit auch Ersatzkräfte stellen darf
Andererseits schaffen gesetzgeberische Aktivitäten wie die vorliegende Übergangsregelungen einen ungewissen Ausgang . Es mag sein, dass Übergangsregelungen verlängert werden oder neue Regelungen geschaffen werden, sind doch gerade Musiklehrer häufig bereits bei der Künstlersozialversicherung versichert. Die Ausgestaltung der Regelung zeigt, dass im Kern nicht das arbeitsrechtliche Beschäftigungsverhältnis im Fokus steht, sondern die Einzahlung in die Sozialversicherung. Sonst wäre wohl kaum eine abweichende Übergangsfrist für die Lehrkräfte in das Gesetz aufgenommen worden.
Voraussetzungen zur Übergangsregelung des § 127 SGB Abs. 1 IV
Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass die Übergangsregelung kein Allheilmittel darstellt. Die Beitragsfreiheit bis zum 31.12.2026 gilt nämlich nur unter der Voraussetzung, dass
- „die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und
- die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt […bei Statusverfahren zu lesen: gegenüber dem Rentenversicherungsträger…] , zustimmt“.
Vorstehendes gilt unabhängig davon, ob ein Statusfeststellungsverfahren durchlaufen wird oder nicht.
Mithin kann bei entsprechender Annahme einer selbstständigen Tätigkeit und Dokumentation der Zustimmung eine nachträgliche Beitragszahlung bis einschließlich 31.12.2026 für die Lehreinrichtungen vermieden werden. Indiz für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit soll der Abschluss eines Vertrags über freie Mitarbeiter , eines Honorarvertrags oder ähnlichem sein. Auch ohne Vorliegen eines Vertrags können entsprechende Honorarabrechnungen Indiz für die damalige Annahme einer selbständigen Tätigkeit sein.
Sollten Sie Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 SGB IV nicht erfüllt sein, besteht aufgrund der allgemeinen Vorschriften Sozialversicherungspflicht auch für Zeiten vor 2027.
Rentenversicherungspflicht für selbstständige Lehrer
Gemäß § 2 Nr. 1 SGB VI sind selbstständig tätige Lehrer und Erzieher, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, ohnehin versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung. Musiklehrer sind gemäß § 1 KSVG versicherungspflichtig in der Künstlersozialversicherung, wenn sie die Tätigkeit erwerbsmäßig einen nicht nur vorübergehend ausüben und in dem Zusammenhang nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen oder nur geringfügig beschäftigt sind.
Vor dem Hintergrund dürften die meisten bisher selbstständigen und von dieser Rechtsprechung betroffenen Lehrkräfte bereits bisher als Selbstständige in die Rentenversicherung oder die Künstlersozialversicherung eingezahlt haben .
Aufgrund § 127 Abs. 3 SGB IV gelten die von Ihnen vor dem 01.03.2025 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge als zu Recht entrichtet , wenn die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sind und die Lehrkraft dem zustimmt. Für die Zeit ab dem 01.03.2025 bis 31.12. 2026 gelten sie dann ebenfalls als selbständig beschäftigt, sofern nicht zwischenzeitlich anderes zwischen den Parteien vereinbart wurde.
Handlungsempfehlung zur Übergangsregelung
Letztlich ist den Betroffenen der Übergangsregelung anzuraten, die entsprechenden Zustimmungserklärungen einzuholen bzw. abzugeben und sich bis spätestens zum 01.01.2027 an die veränderte Ausgangslage anzupassen. Dabei sollten zukünftige Entwicklungen dringend beobachtet werden.
In dem Zusammenhang ist auf die mit gleichem Gesetz beschlossene Änderung des § 8 Abs. 1 BVV hinzuweisen. Ergänzt wird als Nr. 20. „ die Zustimmung des Beschäftigten zum Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung nach § 127 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. “ Die Zustimmung ist also unmittelbar in die Entgeltunterlagen mit aufzunehmen.
Zusammenfassung Sozialversicherung & Übergangsregelung für Lehrkräfte
Mit dem „Herrenberg-Urteil“ vom 08.06.2022 hat das Bundessozialgericht erneut die Kriterien für freie Mitarbeit verschärft. Um Zeit zur Umstellung zu schaffen, trat am 01.03.2025 § 127 SGB IV („Lex Herrenberg“) in Kraft. Dieser gewährt unter bestimmten Bedingungen eine Beitragsamnestie bis zum 31.12.2026 – vorausgesetzt, beide Vertragsparteien gingen ursprünglich von Selbstständigkeit aus und die Lehrkraft stimmt dem zu. Die Regelung schafft jedoch keine langfristige Sicherheit, da die Tendenz zur Einbeziehung freier Tätigkeiten in die Sozialversicherung politisch und rechtlich weiter zunimmt.
Bildungseinrichtungen sollten jetzt Zustimmungen einholen, ihre Vertragsverhältnisse prüfen und sich rechtzeitig auf eine mögliche Umstellung zum Jahreswechsel 2026/27 vorbereiten.
Rechtliche Hilfe zur Übergangsregelung
Gerne beraten und unterstützen wir Sie im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Lehrkräften und der Erstellung bzw. Prüfung der hierzu notwendigen Dokumente. Wenden Sie sich an unsere Fachanwälte für Arbeitsrecht in Köln und Bonn .