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Umkleidezeit als Arbeitszeit im MTV Chemie

Das Arbeitsgericht Köln hat am 13.07.2016 – (Az. 3 Ca 5020/15) in einem von AHS Rechtsanwälte erwirkten Urteil bestätigt, dass die Waschzeit gem. § 6 Manteltarifvertrag Chemie (MTV Chemie) mit dem einschlägigen tariflichen Stundenentgelt zu vergüten ist und dass der MTV Chemie keine abschließende Regelung dazu enthält, wie Umkleidezeiten einzuordnen sind. Dieses Urteil wurde in der Berufung vom Landesarbeitsgericht Köln (Az. 7 Sa 840/16) am 01.06.2017 bestätigt.

UPDATE: Das Bundesarbeitsgericht (BAG 5 AZR 124/18) hat nun aber entschieden, dass Umkleidezeit nicht zu vergüten ist, wenn der Tarifvertrag eine Öffnungsklausel enthält, aber keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird. Dann sei davon auszugehen, dass Arbeitgeber und Betriebsrat diesen Regelungsbereich nicht vergütungspflichtig regeln möchte.

Für einen Überblick zur Rechtslage lesen Sie bitte unseren Blog „Wann ist Umkleidezeit Arbeitszeit?“.

Der aktuelle Fall vor dem Arbeitsgericht Köln:

Der Kläger ist als Chemikant beschäftigt. Hierbei kommt er unter anderem in Kontakt mit Monochloressigsäure. Diese ist stark toxisch und wirkt ätzend an Augen, Atemwegen und der Haut.

Aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen sowie auf Anweisung des Arbeitgebers trägt der Kläger daher während der Arbeit Schutzkleidung.

Die Schutzkleidung legt er vor Arbeitsbeginn in einem vom Arbeitgeber hierfür eigens eingerichteten Waschhaus an und geht sodann zu seiner Arbeitsstätte. Hierfür benötigt er täglich insgesamt 10 Minuten.

Nach der Arbeit geht er den gleichen Weg zurück, duscht und kleidet sich um. Hierfür benötigt er täglich zusätzlich 20 Minuten.

Er wendet mithin insgesamt täglich 30 Minuten zusätzliche Zeit für den Arbeitgeber auf (wöchentlich also insgesamt 2,5 Stunden).

Die tarifliche Arbeitszeit nach MTV Chemie beträgt 37,5 Wochenstunden. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 MTV Chemie kann sie um 2,5 Wochenstunden verlängert oder verkürzt werden, wenn dieses mit den tariflichen Stundensätzen vergütet wird.

Der Arbeitgeber vergütet die zusätzlich aufgewendeten Zeiten nicht und schreibt sie auch nicht dem Arbeitszeitkonto des Klägers gut. Diesbezüglich beruft er sich auf eine Gesamtbetriebsvereinbarung nach der Arbeitszeit am Arbeitsplatz in Arbeitskleidung beginnt und eine weitere, nach der Waschzeiten pauschal mit € 20,45 monatlich vergütet werden. Der Kläger begehrte Berücksichtigung der zusätzlich aufgewendeten Zeiten auf seinem Arbeitszeitkonto, hilfsweise deren Vergütung.

§ 6 MTV Chemie und seine Öffnungsklausel:

§ 6 MTV Chemie lautet wie folgt: 

  • Waschzeit und Umkleidezeit

    "1. Ist infolge besonders starker Verschmutzung oder aus gesundheitlichen Gründen eine sorgfältige Reinigung erforderlich, so wird täglich eine bezahlte Waschzeit gewährt. Welche Gruppen der Arbeitnehmer darauf Anspruch haben, wie die Dauer der Waschzeit zu bemessen und in welche Zeit sie zu legen ist, wird durch Betriebsvereinbarung geregelt.

    2. Ist bei der Arbeit das Tragen einer bestimmten Berufskleidung und deshalb das Umkleiden im Betrieb durch den Arbeitgeber angeordnet, wird durch eine Betriebsvereinbarung unter Berücksichtigung der jeweiligen betrieblichen Üblichkeit geregelt, ob und gegebenenfalls wie ein Ausgleich für die hierfür erforderliche Zeit erfolgt."
Wegezeiten sind im MTV Chemie nicht geregelt, so dass sie mit dem üblichen Entgelt zu vergüten sind, wenn sie fremdnützig sind, was vorliegend der Fall ist.

Gemäß § 6 Nr. 1 MTV Chemie ist aber bestimmt, in welchen Fällen eine bezahlte Waschzeit zu gewähren ist.

Der Kläger hat aufgrund seiner Tätigkeit mit gefährlichen Chemikalien aus gesundheitlichen Gründen Anspruch auf eine bezahlte Waschzeit.

Die Betriebsparteien dürfen sodann bestimmen, wie lang diese ist und wann sie zu nehmen ist. Hinsichtlich der Höhe der Vergütung für diese Zeit dagegen wird den Betriebsparteien keine Regelungskompetenz übertragen. Das ist auch nicht notwendig, da eine tarifliche Stundenvergütung bestimmt ist. Die Betriebsparteien hatten daher kein Recht, eine monatliche Waschpauschale von € 20,45 festzulegen. Die Waschzeit ist mit dem tariflichen Stundenentgelt zu vergüten.

Weiter ist in § 6 Nr. 2 des MTV bestimmt, dass  - wenn Umkleiden und Tragen von Betriebskleidung angeordnet sind - durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden kann, ob und ggf. wie ein Ausgleich für die hierfür erforderliche Zeit erfolgt.

Eine solche Regelung bezüglich der Umkleidezeit wurde vorliegend nicht getroffen. Wenn trotz Öffnungsklausel keine betriebliche Vereinbarung zur Umkleidezeit vorliegt, dann ist nach BAG 5 AZR 124/18 diese Zeit auch nicht zu vergüten. Der Grund liegt darin, dass Arbeitgeber und Betriebsrat diesen Regelungsbereich trotz Möglichkeit nicht vergütungspflichtig regeln möchten.

Arbeitsschutz:

Ergänzend ist anzumerken, dass das LAG Hamburg in seiner Entscheidung vom 06.07.2015 ( Az. 8 Sa 53/14 – Revision beim BAG anhängig unter 5 AZR 574/15) die Auffassung vertreten hat, dass fremdnützige Arbeitszeiten, wie vorliegend, dann gar nicht vor der Vergütungspflicht ausgenommen werden können, wenn es sich hierbei um eine Maßnahme des Arbeitsschutzes handelt.

Denn dann liege ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Arbeitsschutzgesetz vor und hierfür müsse der Arbeitgeber alle Kosten tragen sowie die Arbeitszeit vergüten.

Auf diesen Aspekt kam es aber vorliegend nicht mehr an.

Zusammenfassung:

  • Waschzeit ist aufgrund § 6 MTV Chemie mit dem tariflich geltenden Stundensatz zu vergüten.
  • Die anrechenbare Dauer der Waschzeit kann durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden.
  • Wegezeiten sind im MTV Chemie nicht explizit geregelt. Sie sind aber nach gefestigter arbeitsrechtlicher Rechtsprechung zu vergüten, wenn sie fremdnützig sind (also in der Regel im Interesse des Arbeitgebers liegen).
  • Hinsichtlich der Umkleidezeiten kann durch Betriebsvereinbarung geregelt werden, ob und wie diese vergütet werden.
  • Wenn trotz Öffnungsklausel keine betriebliche Vereinbarung zur Umkleidezeit vorliegt, dann ist nach BAG 5 AZR 124/18 diese Zeit auch nicht zu vergüten. Der Grund liegt darin, dass Arbeitgeber und Betriebsrat diesen Regelungsbereich trotz Möglichkeit nicht vergütungspflichtig regeln möchten.
  • Insbesondere bei arbeitsschutzrechtlich zwingenden Maßnahmen (wie zum Beispiel Schutzkleidung beim Umgang mit gefährlichen Chemikalien), ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, ob überhaupt eine vom tariflichen Stundenentgelt abweichende Vereinbarung zulässig ist.

Hilfe bei arbeitsrechtlichen Fragen:

Die Vergütung von Umkleidezeiten ist immer wieder Gegenstand aktueller Rechtsprechung. Derzeit ist eine weitere Revision beim Bundesarbeitsgericht (Az. 8 AZR 75/16) anhängig. Hier geht es darum, ob das Anlegen auffälliger und vom Arbeitgeber vorgeschriebener Arbeitskleidung schon deshalb Arbeitszeit ist, weil es nicht zumutbar ist, in dieser Kleidung am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen und daher die Kleidung nicht bereits zu Hause angelegt wird (so LAG Hessen, 23.11.2015 – 16 Sa 494/15).

Wir beraten Sie gerne umfassend und verständlich über Ihre Rechte und vermitteln auch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wir unterstützen Sie auch gerne beim Abschluss einer Betriebsvereinbarung. Darüber hinaus vertreten wir Sie vor dem Arbeits- und anderen Zivilgerichten.

Das Kölner Arbeitsgericht ist wegen seiner Nähe zu unserem Kölner Büro in 5 Minuten zu Fuß zu erreichen.

Dr. Patrizia Antoni ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und hat auch den Fachanwalt für Steuerrecht. Sie berät Sie in allen arbeitsrechtlichen und steuerrechtlichen Fragen gerne.

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