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Angemessene Ausbildungsvergütung – wann muss nachgezahlt werden?

Eine Nachforderung von Ausbildungsvergütung kann den Arbeitgeber teuer zu stehen kommen. In einem ganz aktuellen Urteil vom 29. April 2015 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) einem Auszubildenden 21.678,02 Euro Ausbildungsvergütung zugesprochen, weil er nur ca. 55% der Ausbildungsvergütung nach den entsprechenden Tarifverträgen erhalten hat.

Im folgenden Blogbeitrag zum Arbeitsrecht wird erläutert, worauf Ausbildungsbetriebe achten sollten und wann Auszubildende Vergütung nachfordern können, wenn die vereinbarte Ausbildungsvergütung zu gering ausfällt.

Grundsätzliches:

Die Ausbildungsvergütung stellt einen Beitrag zu den Kosten des Auszubildenden dar und hat auch die Funktion eines Taschengelds. Deshalb ist sie rechtlich nicht als Lohn oder Gehalt anzusehen. Sie soll dem Auszubildenden eine finanzielle Hilfe bei der Durchführung seiner Ausbildung bieten. Nur sekundär stellt sie eine Entlohnung für die geleistete Arbeit dar. Aus diesem Grund gelten viele arbeitsrechtliche Bestimmungen zum Lohn oder Gehalt nicht unbedingt auch für die Vergütung von Auszubildenden. Beispielsweise gelten die Vorschriften zum Mindestlohn nicht für Auszubildende.

Trotzdem muss die Ausbildungsvergütung immer „angemessen“ sein. Ist die Vergütung nicht angemessen, drohen hohe Nachzahlungen, wenn Auszubildende vor dem Arbeitsgericht auf Nachzahlung klagen.

Aktuelles Urteil zur Nachzahlung von Ausbildungsvergütung:

Ein gemeinnütziger Verein mit dem Zweck der Förderung der qualifizierten Berufsausbildung hatte seinem Lehrling während der dreieinhalbjährigen Berufsausbildung eine Ausbildungsvergütung in Höhe von ca. 55% des üblichen Tariflohns der Metall- und Elektroindustrie bezahlt. Der gemeinnützige Verein selbst war nicht tarifgebunden.

Der Lehrling klagte sich erfolgreich durch alle Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht um eine Nachzahlung von Ausbildungsvergütung zu erhalten. Auch das BAG bestätigte die Auffassung der Vorinstanzen und sprach dem Auszubildenden eine Nachzahlung in Höhe von 21.678,02 € zu (BAG Urteil vom 29. April 2015 Az. 9 AZR 108/14).

Eine deutliche Unterschreitung der tariflichen Vergleichsvergütung kann im Einzelfall zwar durch besondere Umstände zulässig sein; diese besonderen Umstände müssen aber vom Ausbildungsbetrieb ausreichend nachgewiesen werden. Wenn nicht dargelegt wird, warum eine deutliche Unterschreitung der vergleichbaren Tarifvergütung notwendig ist, wird davon ausgegangen, dass die Ausbildungsvergütung unangemessen ist. Der gemeinnützige Verein konnte nicht hinreichend darlegen, warum eine so deutliche Unterschreitung notwendig war. Allein der Umstand, dass es sich um einen gemeinnützigen Verein handelt, der sich durch die Spenden Dritter finanziert, rechtfertigt die Unterschreitung nicht.

Angemessenheit der Ausbildungsvergütung:

Gemäß § 17 Absatz 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) hat der Ausbildende dem Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu gewähren, die mindestens jährlich steigt. Was angemessen ist, regelt das Gesetz nicht explizit. Hierfür kommt es auf die allgemeine Verkehrsanschauung an, was als angemessen angesehen wird. Der wichtigste Anhaltspunkt ist die Ausbildungsvergütung der entsprechenden Tarifverträge. Das bedeutet, dass sogar Ausbildungsbetriebe, die selbst nicht tarifgebunden sind, die gezahlte Ausbildungsvergütung an den Tarifverträgen der jeweiligen Branche anlehnen müssen.

Wenn die gezahlte Ausbildungsvergütung die tarifliche Vergütung um mehr als 20% unterschreitet, wird nach rechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich vermutet, dass die Vergütung unangemessen niedrig ist. Diese Vermutung kann der Ausbildungsbetrieb wiederlegen.

Unterschreiten der tariflichen Ausbildungsvergütung:

Die gezahlte Ausbildungsvergütung darf in Einzelfällen die tarifliche Ausbildungsvergütung um mehr als 20% unterschreiten, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Ein besonderer Umstand der so eine Unterschreitung rechtfertigt, liegt beispielsweise bei einem gemeinnützigen Verein vor, der durch Spenden Dritter finanziert wird und der Verein keine finanziellen Vorteile aus der Unterschreitung zieht.

Das ist der Fall, wenn der Verein ausschließlich dazu dient, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen, um Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, eine Ausbildung zu absolvieren. Wenn der Auszubildende sonst keine Möglichkeit hätte, eine qualifizierte Ausbildung zu absolvieren, ist auch eine deutliche Unterschreitung der oben genannten Vergleichswerte zulässig.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass mehrere Faktoren im jeweiligen Einzelfall abgewogen und wechselseitig berücksichtigt werden. Entscheidende Bedeutung hat im oben genannten Beispiel der Umstand, dass durch die spendenfinanzierten Ausbildungsverhältnisse zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden sollen, um ansonsten arbeitslosen Jugendlichen die Chance zu eröffnen, einen anerkannten Ausbildungsberuf zu erlernen.

Wissenswertes zur Ausbildungsvergütung:

Die Ausbildungsvergütung wird monatlich gezahlt und ist spätestens am letzten Arbeitstag des Monats zu zahlen, vgl. § 18 BBiG.

Grundsätzlich darf die vereinbarte Ausbildungsvergütung bis zu einem Höchstsatz von 75% des Bruttogehalts auch in Sachwerten erfolgen. Sachwerte sind geldwerte Vorteile, die nicht in Geld bestehen. Beispielsweise Tankgutscheine, ein Dienstwagen zum privaten Gebrauch oder sogar die Übernahme der Kosten für das Fitneßstudio.

Wenn der Auszubildende über die vereinbarte regelmäßige Ausbildungszeit hinaus beschäftigt wird, ist dies zusätzlich zu vergüten oder in entsprechender Freizeit auszugleichen.

Sozialversicherungsbeiträge fallen für den Auszubildenden erst an, wenn die Ausbildungsvergütung 325,- € übersteigt. Lohnsteuer wird bei unverheirateten Auszubildenden erst ab einem Betrag von über 907,- € monatlich erhoben.

Zusammenfassung:

  • Ausbildungsvergütung stellt eine finanzielle Hilfe dar, um die Lebenshaltungskosten während der Ausbildungszeit zu bestreiten.
  • Die Ausbildungsvergütung muss jährlich steigen und angemessen sein.
  • Tarifgebundene Ausbildungsbetriebe zahlen die Ausbildungsvergütung nach dem einschlägigen Tarifvertrag.
  • Bei nicht tarifgebundenen Ausbildungsbetrieben wird von einer unangemessen Vergütung ausgegangen, wenn die Ausbildungsvergütung mehr als 20% unter der tariflichen Vergütung liegt.
  • Wenn besondere Umstände vorliegen, darf die Ausbildungsvergütung die tarifliche Vergütung um mehr als 20% unterschreiten.
  • Diese besonderen Umstände muss der Ausbildungsbetrieb jedoch nachweisen. Sonst drohen hohe Nachzahlungen
  • Weitere Besonderheiten zur Ausbildungsvergütung finden sie hier.

Hilfe bei arbeitsrechtlichen Fragen:

Besonders in Ausbildungsverhältnissen gelten arbeitsrechtliche Sonderbestimmungen. Vielfach müssen auch Besonderheiten wie das Jugendarbeitsschutzgesetz oder Handwerksordnungen beachtet werden. Ausbildungsbetriebe sollten sich deshalb rechtlich absichern und kompetent beraten lassen. Aber auch Auszubildende oder ihre Erziehungsberechtigten benötigen im Zweifel arbeitsrechtlich fundierten Rat.

Dr. Patrizia Antoni hat den Fachanwalt für Arbeitsrecht und den Fachanwalt für Steuerrecht. Sie berät Sie in allen arbeitsrechtlichen und steuerrechtlichen Fragen gerne. Vereinbaren Sie einen Termin in den Büros der Kanzlei AHS Rechtsanwälte in Köln oder Bonn.

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